Wenn ein Geschwisterkind auf die Welt kommt – wie können wir das ältere Kind vorbereiten?
Und wie gehen wir mit möglicherweise starken Gefühlen des älteren Kindes um?
(Podcast – Link am Ende dieses Beitrages)
Kürzlich fragte mich eine Mutter, ob und wie sie ihren kleinen Sohn in die Schwangerschaft einbeziehen kann und auf die Ankunft des kleinen Geschwisterbabys vorbereiten kann.
Vorab: Es gibt kein Allgemeinrezept gegen Eifersucht. Zu sehr hängt es von der Persönlichkeit und der Entwicklung des älteren Kindes ab, wie es mit der neuen Situation umgeht und auch mit dem Wesen des Geschwisterkindes.
Da die Frage der Mutter aber keine ungewöhnliche ist und viele Eltern betrifft, möchte ich hier dennoch ein paar Gedanken dazu teilen.
Bestimmt ist klar, dass die Geburt eines Geschwisterkindes eine sehr einschneidende Veränderung im Leben eines Kleinkindes ist. Und selbstverständlich ist es sinnvoll, auch ein junges Kind darauf vorzubereiten, selbst wenn wir das Gefühl haben, es ist noch zu jung, diese Situation momentan zu begreifen.
Es gibt im Leben viele sogenannte „Übergänge“, die es zu bewältigen gilt. Das kann ein Umzug in eine neue Wohnung sein, der Eintritt in die Krabbelstube, Kindergarten oder Schule, später in das Berufsleben. Kinder (und auch Erwachsene) gehen sehr unterschiedlich mit solchen Herausforderungen um. Die Geburt eines Geschwisterkindes gehört mit zu den prägendsten Übergängen, da die Aufmerksamkeit der Eltern dem erstgeborenen Kind gegenüber ab diesem Zeitpunkt nicht mehr exklusiv ist.
Darüber hinaus gibt es noch viele täglich vorkommende kleine Übergänge (dafür gibt es ein schönes Fremdwort, sogenannte Mikrotransitionen). Das kann das morgendliche Anziehen und Fertigmachen sein, um in die Krabbelstube oder zum Arzttermin zu kommen, das kann das Verlassen des Spielplatzes sein, aber auch das abendliche Einschlafen. Auch diese Veränderungen sind oftmals schwierig, vor allem für junge Kinder.
Eine mögliche Erklärung dafür warum dies so ist, wäre, dass sich Kinder vor allem in den ersten Lebensjahren unwahrscheinlich rasch entwickeln und täglich enorm viele neue Reize und Impulse aufnehmen sowie viele Lernerfahrungen machen. All diese Eindrücke wollen und müssen intern verarbeitet werden, und dies geht natürlich besser, wenn die Außenumgebung möglichst konstant bleibt und Halt gibt. Hier gilt es also für die Eltern Balance zu halten, ein Zuviel an äußeren Reizen und Veränderungen hintanzuhalten und genügend Stabilität zu bieten.
Zurück zum Geschwisterthema
Im Grunde kann die Vorbereitung schon damit beginnen, dass wir es ansprechen, wenn wir uns – gerade in den ersten Monaten der Schwangerschaft – nicht wohl oder sehr erschöpft fühlen. Die Folge von Erschöpfung kann sein, dass wir manches Mal ungeduldiger reagieren als sonst und auch das können wir zum Thema machen. „Luis, es tut mir leid, ich bin jetzt immer sehr müde. Ich möchte mich eine halbe Stunde auf der Couch ausruhen. Außerdem ist mir schlecht. Du kannst ja hier neben mir eine halbe Stunde alleine spielen.“
Wenn wir unserem Kind bisher zugetraut und ermöglicht haben, dass es auch alleine und für sich spielen kann – das Freie Spiel als ein wichtiges Grundprinzip der Pikler Pädagogik – wird es das auch in dieser Situation können. (Zum Thema „Mein Kind kann nicht alleine spielen“ plane ich ebenfalls einen Beitrag. Dieser sollte in Kürze hier zu finden sein.)
Außerdem kann es vorkommen, dass andere Menschen aufgeregt und voller Vorfreude mit uns sind. Auch das könnten wir für unser Kind übersetzen. „Hast du gesehen, dass Oma heute so aufgeregt war? Ich habe ihr auch erzählt, dass in meinem Bauch ein Baby wächst und dass du eine kleine Schwester oder einen kleinen Bruder bekommen wirst. Das dauert noch eine Weile, mein Bauch wird immer größer, weil das Baby im Bauch wachsen wird.“
Wenn das Kind gerne Fotos und Bücher ansieht, können gemeinsam Fotos betrachtet werden, wie es selbst ein Baby war und beispielsweise von der Mutter gestillt wurde oder das Fläschchen bekommen hat.
Es gibt auch zahlreiche geeignete Bilderbücher, die aufs Geschwisterkind vorbereiten, allerdings hängt dies sehr vom Interesse und auch vom Alter des Kindes ab.
Natürlich macht es Sinn, wenn der Vater oder auch andere wichtige Bezugspersonen bereits einige Zeit vor der Geburt des Geschwisterkindes – falls nicht ohnehin der Fall – mehr Zeit mit dem Erstgeborenen verbringen. Das ist eine enorm wichtige Aufgabe zur Entlastung der Schwangeren. Vor der Geburt deshalb, damit diese Veränderung nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Ankunft des Babys steht.
Und natürlich macht es Sinn, sich manche Gewohnheiten, die sich eingebürgert haben, anzuschauen, für die unter Umständen mit einem zweiten Kind nicht mehr uneingeschränkt Zeit sein wird. Allerdings gilt es zu hinterfragen, ob das Abgewöhnen des Schnullers gerade in diesen vielleicht turbulenten Zeiten Sinn macht, oder ob für die Übersiedlung des Erstgeborenen vom Elternschlafzimmer ins Kinderzimmer jetzt der richtige Zeitpunkt ist. Wenn in der ersten Phase der Schwangerschaft dafür genügend Energie da ist, ist das sicherlich der besser geeignete Zeitpunkt als rund um den Geburtstermin.
Zu bedenken möchte ich geben, dass ein zwei- oder dreijähriges Kind keinesfalls „groß“ ist, und wir es nicht vorschnell größer machen, als es ist. Manche Kinder sind stolz darauf, dass sie jetzt die Großen sind, aber keineswegs alle fühlen sich wohl mit dieser Zuschreibung.
Wenn das Baby dann da ist
Ein schöner Vorschlag von Nadine Hilmar aus ihrem Buch „Hand in Hand“ ist, bei der ersten Begegnung des Kindes mit der Mama und dem kleinen Geschwisterchen, das Baby dem Vater zu übergeben oder neben der Mutter in seinem Bettchen zu platzieren, so dass die Mutter nicht direkt durch das Baby blockiert ist.
Hilfreich ist in jedem Fall ein Perspektivenwechsel und das echte Verständnis dafür, dass das erstgeborene Kind in seinen Gefühlen hin und her gerissen sein kann. Ziemlich sicher empfindet es Freude über und Neugier auf das Baby, insbesondere da es ja auch erlebt, wie sich alle anderen freuen, dass das Baby nun geboren ist.
Das möchte es uns natürlich gleichtun, Kinder wollen ja kooperieren und den Eltern gefallen.
Es erlebt aber auch, dass das Baby viel Aufmerksamkeit bekommt, dass die Mama nicht mehr so prompt auf seine Wünsche und Bedürfnisse reagieren kann, dass das Baby manchmal weint und das ganz schön laut. Es erfährt auch oftmals eine Trennung von der Mama, die manchmal ein paar Tage dauert, wenn die Mutter im Krankenhaus entbunden hat.
Es kann also sein, dass es ein Durcheinander von Gefühlen erlebt, das es schlichtweg überfordert.
Da ist vielleicht auch Eifersucht, Wut, Traurigkeit, Verlustangst, Ungeduld, und all das sind sehr intensive Gefühle. Es ist für unser Kind einfach noch nicht möglich, diesen Strudel an Gefühlen zu verstehen, einzuordnen und in Worte zu fassen.
Unsere Aufgabe als Eltern ist diese Gefühle anzunehmen, aufzufangen und zu benennen. Das ist eine ganz und gar nicht einfache Aufgabe, da es sich um Gefühle handelt, die sich gegen das kleine, von uns abhängige und sehr geliebte Baby richten. Vielleicht gelingt es uns die schwierige Situation einfach zu beschreiben: „Ich glaube, du bist enttäuscht, weil ich jetzt deine Schwester stillen muss, und gerade nicht mit dir spielen kann.“
Es wird einfacher, wenn wir uns mit der Gefühlswelt unseres Kindes verbinden, diesen Gefühlsausdruck aber nicht persönlich nehmen und geduldig mit der nun gewachsenen Familie sind.
„Ich habe mir nicht gedacht, dass du so traurig bist.“ Oder „Du möchtest gerne wieder einmal mit mir ganz alleine sein. Das möchte ich auch.“ Gerade die Väter können hier auch viel beitragen. Sie können sich mit dem Erstgeborenen verbünden. „Mir fehlt die Mama auch manchmal.“
Letztlich ist das Zulassen, Freilassen und Begleiten dieser negativen Emotionen einer der Schlüssel zu einer guten beständigen Geschwisterbeziehung.
Podcast – Wie Geschwister auf die Ankunft eines Babies vorbereiten…